Die ungewöhnliche Finanzierung eines einzigartigen Projektes
Oder: Wie beschafft man eineinhalb Millionen Mark ?


(Ulrich Kolberg) Als wir 1995 den Förderverein Benediktinerkirche gründeten, ahnte niemand, was uns bevorstand. Ziel war es, der Münsterpfarrei finanziell bei der Restaurierung der Benediktinerkirche zu helfen und eine Million Mark durch geeignete Maßnahmen zusammenzutragen. Das Gesamtvorhaben verschlang letztlich über viereinhalb Millionen Mark. Schließlich stellte sich die Frage: Welche Orgel soll eines Tages in der Kirche erklingen?

Die Vorarbeiten
Bekannt war, dass die Villinger Benediktiner einst eine schöne Orgel des elsässischen Orgelbauers Johann Andreas Silbermann in ihrer Klosterkirche besaßen. Sie war durch die Zeitumstände verloren gegangen. 1987 gab der Dresdener Trompeter Ludwig Güttler ein Konzert in Villingen. Als er von der früheren Silbermann-Orgel erfuhr, meinte er: „Die müsst ihr wieder aufbauen!“ Das war leichter gesagt als getan. Denn auf rund eineinhalb Millionen Mark wurde ein solches Projekt geschätzt. Wie sollte diese Summe aufgebracht werden? Und: konnte man eine derartige Rekonstruktion tatsächlich realisieren?
Stephan Rommelspacher als damaliger Bezirks- und Münsterkantor hatte diese Frage aber schon mit Experten diskutiert und positiv geklärt. So entschieden sich dann sowohl Stiftungs- als auch Pfarrgemeinderat der Münsterpfarrei für eine Rekonstruktion der Silbermann-Orgel. Es wurde offiziell eine Orgelbaukommission eingesetzt. Doch wie kam man an die nahezu unvorstellbare Summe von eineinhalb Millionen Mark ?
Der Förderverein konnte eine derart gewaltige Aufgabe nicht zusätzlich schultern. Und die Pfarrei war dazu auch nicht in der Lage. Die Belastungen durch die Kosten der Restaurierung der Kirche würden noch über viele Jahre hinweg beträchtlich sein. Wir (der Vorstand des Fördervereins) bildeten deshalb einen Arbeitskreis Silbermann im Förderverein Benediktinerkirche. Er sollte sich des Orgelprojekts annehmen: Günter Ludwig (graphische und gestalterische Aufgaben), Stephan Rommelspacher (musikalischer Bereich), Ulrich Kolberg (Finanzierung) sowie Thomas Berger, Franz Blaser, Hubert Waldkircher und Karl-Heinz Weißer. Der Arbeitskreis traf sich in der Startphase fast alle zwei Wochen, um geeignete Finanzierungsmöglichkeiten zu diskutieren und gegebenenfalls deren Umsetzung zu besprechen.

Schirmherr und Kuratorium
Zunächst wurde beschlossen, ein Kuratorium ins Leben zu rufen. Schon bald erklärten sich ca. 30 Damen und Herren aus Politik, Wirtschaft, Handel, Industrie, Medien und Kultur für eine Mitgliedschaft im Silbermann-Kuratorium bereit. Als Schirmherr konnte der bekannte Pianist und Dirigent Justus Frantz gewonnen werden. Weiter schien es uns wichtig, das Projekt von den Medien begleiten zu lassen. Wir konnten den SWR Freiburg und den Südkurier Konstanz von der Bedeutung der Villinger Silbermann-Rekonstruktion überzeugen. SIe wollten uns die notwendige Unterstützung geben.

Der Projektstart
Für den 18. November 1997 luden wir etwa sechzig Persönlichkeiten aus allen Bereichen der Region ins Villinger Hotel Diegner ein. Ihnen trugen wir unsere Ideen zur Rekonstruktion der Silbermann-Orgel vor. Ich hatte dafür ein eher konservatives Finanzierungskonzept erarbeitet, über das die Mittel für das Projekt innerhalb von zehn Jahren aufgebracht werden sollten, d.h. jährlich 150.000 Mark. Am Tag darauf gaben wir Pressekonferenz, auf der die Medien über die geplante Rekonstruktion und die vorangegangene Projekt-Vorstellung unterrichtet wurden.

Wir besaßen Mitte 1997 ein „Startkapital“ von etwa 50.000 Mark. Während der Restaurierung der Benediktinerkirche hatten Spender bereits ausdrücklich Geld für eine spätere Orgel gegeben. Auch wollte der Geschichts- und Heimatverein Villingen die Produktion einer Benefiz-CD zugunsten des Silbermann-Projekts unterstützen. Wenn ich heute daran zurückdenke, mit wieviel Idealismus und Begeisterung, aber auch Unbekümmertheit wir daran gegangen sind, eineinhalb Millionen Mark (also fast 770.000 Euro) aufzutreiben = zu erbetteln, dann scheint es wie ein Wunder, dass das tatsächlich gelungen ist. Mit Unterstützung der öffentlichen Hand konnten wir nämlich nicht rechnen. Dennoch: schon die wenigen Wochen bis Ende 1997 brachten beträchtliche Spendenzugänge. Außerdem hatte der Münsterpfarrer anlässlich seines 60. Geburtstages um Geldspenden zugunsten der Restaurierung der Benediktinerkirche oder der Silbermann-Rekonstruktion anstelle sonst üblicher Geschenke gebeten. So war.das „Silbermann-Konto“ zur Jahres-wende bereits auf 340.000 Mark angewachsen. Aber es gab auch eine Reihe kritischer, ja negativer Stimmen zum Orgel-Projekt, mit denen wir uns auseinandersetzen mussten.

Rückblickend hatten wir viele gute Ideen - wie wir glaubten -, um an Geld zu kommen. Sie brachten uns aber noch nicht den richtigen Ansatz für einen kontinuierlichen Spendenfluss. Seit Monaten sammelte ich jede Information, die sich mit dem Bau, der Wiederherstellung, Renovation oder Restaurierung von Orgeln oder auch Denkmälern usw. befasste und Spendenanreize bot. Überall tauchten die gleichen „Bausteine“ auf. Ließ sich daraus eine für unsere Bedürfnisse geeignete Aktion zurechtschneidern? Es fehlte uns einfach noch die zündende Idee. So mischte ich die zusammengetragenen „Bausteine“ wie ein Kartenspiel. Und wie zu einem Mosaik fügte ich die verschiedenen Elemente zusammen. Das Ergebnis: Eine einfache aber sehr stringent und konsequent durchzuführende Patenschafts-Aktion, zuerst für alle Orgelpfeifen, dann erweitert auf die übrigen Teile des Instruments wie Gehäuse und Technik. Im Arbeitskreis wurde diese Patenschafts-Aktion beschlossen. Es würde ein weiterer Versuch sein, die Menschen für das Projekt zu interessieren. Orgelbauer Gaston Kern, dem die Rekonstruktion der Orgel anvertraut worden war, nannte uns zunächst für alle Orgelpfeifen kategorisierte Preise. Günter Ludwig setzte diese in eine Graphik um, die auf eine Tafel kaschiert wurde. Jedes in einer bestimmten Preiskategorie farblich hinterlegte Feld stellte eine Pfeife/Ton dar. Über alle Register und deren Töne ergaben sich insgesamt 1.908 Pfeifen, dazu später weitere 348 Teile aus den Bereichen Gehäuse und Technik, für die Patenschaften vergeben werden konnten. Jede belegte Patenschaft würde durch einen schwarzen Punkt an der betreffenden Stelle der Graphik markiert. Alle Paten sollten zusätzlich auf gesonderten Namenstafeln notiert werden. Die Übersicht würde im Münster aufgestellt, wo sie für jedermann einzusehen war. Jeder sollte über eine Patenschaft persönlich angesprochen werden können. Für die Pfeifen wurden Preise zwischen 100 und 1.500 Mark festgelegt (auch ein Mehrfaches der einzelnen Preiskategorie war natürlich möglich). Bei den übrigen Teilen der Orgel gingen wir später in ähnlicher Weise vor. Wenn ich sage „jeder“, dann heißt das, dass wir wirklich für jeden Geldbeutel etwas bieten wollten. Und alle sollten sich über eine Patenschaft mit dem Projekt persönlich identifizieren können. Jedes Teil der Orgel konnte nur einmal mit einer Patenschaft belegt werden. Für jede Patenschaft würde eine Urkunde und selbstverständlich auch eine Spendenbescheinigung ausgestellt werden. Dieses „Paket“ sollte schließlich mit ausschlaggebend sein für den unerwartet großen Erfolg der Patenschafts-Aktion.

Das Patenschaftswunder
Wir gingen damit am 18. Mai 1998 in eine GROSSE BENEFIZGALA, für die Stephan Rommelspacher im Villinger Franziskaner-Konzerthaus ein attraktives Programm mit Werken von Haydn, Mozart und Beethoven ausgewählt hatte. Zuvor wurden nochmals das Rekonstruktionsprojekt und die Patenschafts-Aktion im historischen Refektorium des Franziskaner-Konzerthauses vorgestellt. Spontan erklärten sich 35 Personen bereit, eine Patenschaft zu übernehmen. Auch das Konzert wurde ein großer Erfolg. Wir hatten zu der Veranstaltung alle erreichbaren Medien aufgeboten. Noch am selben Abend wurden Berichte im Fernsehen und im Hörfunk ausgestrahlt. Die Zeitungen berichteten am näch-sten Tag ausführlich über das Ereignis. Damit war das Thema „Rekonstruktion der Villin-ger Silbermann-Orgel“ in aller Munde. Schon allein die Tatsache, dass eine Johann-An-dreas-Silbermann-Orgel vollständig nachgebaut werden sollte, war eine kleine Sensation.

Der Erfolg des Konzeptes
Den nun folgenden Verlauf hatte ich mir anders vorgestellt. Für unser Rentnerdasein hatten meine Frau und ich andere Pläne gemacht. Alles entwickelte sich jedoch bald zu einem Ganztagsjob. Die Aktion „Patenschaften“ gewann immer mehr an Fahrt. Wenn mir meine Frau nicht sofort zur Seite gestanden wäre, hätte ich wohl schon bald das Handtuch geworfen. Ich hatte das Zitat des bekannten brasilianischen Erzbischofs Dom Hélder Câmara als Motto über meine Arbeit gestellt: „Wenn einer allein träumt, bleibt es ein Traum. Träumen wir aber alle gemeinsam, wird es Wirklichkeit!“ Also fingen wir an zu träumen - zunächst nur wenige, dann wurden es mehr und mehr. Die Aktion breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Sofort im Anschluss an die BENEFIZGALA hatte ich meine gesamte Verwandtschaft, Freunde, Bekannte, alte Geschäftsfreunde, kurzum jeden, der mir einfiel, mobilisiert und zur Übernahme von Patenschaften motiviert. Die Medien berichteten regelmäßig über den jeweils aktuellen Stand, zunächst nur die regionalen Zeitungen. Bald aber brachten auch überregionale Blätter - meist bebilderte - Beiträge. Patenschaft auf Patenschaft wurde geordert. Bald wussten meine Frau und ich nicht mehr, wo uns der Kopf stand: tägliche Kontrolle der Spendenkonten bzw. Entgegennahme der Bestellungen per Brief oder Telefon - Dankesbrief - Urkunde - Spendenbescheinigung – Versand. Bald wurde uns allen klar, dass diese Patenschafts-Aktion der „große Wurf“ war, mit der wir den finanziellen Kraftakt meistern konnten.

Am Schluss des Jahres 1998 standen auf den „Silbermann-Konten“ bereits 631.000 Mark; allein seit der BENEFIZGALA waren fast 300.000 Mark hinzugekommen. Schon 720 Orgelpfeifen waren mit einer Patenschaft belegt worden. Würde das 1999 so weitergehen können? Es kam tatsächlich so! Ende April 1999, also nach noch nicht einmal einem Jahr seit dem Start der Patenschafts-Aktion, konnte bereits die Urkunde für die tausendste Orgelpfeife übergeben werden. Der Strom an Spenden riss nicht mehr ab. Immer wieder hieß es jedoch: nicht müde werden und nicht in den Bemühungen nachlassen! Die Presse mit Informationen versorgen und vor allem Bettelbriefe schreiben bis zum Umfallen. Ich weiß nicht mehr, wieviele Briefe in den insgesamt fast fünf Jahren hinausgegangen sind in alle Gegenden Deutschlands.
Im Juni 1999 fand unser Projekt Eingang in die Welt der elektronischen Medien. Unter www.silbermann-orgel.de konnte sich nun jeder auch auf diesem Weg über unsere Pläne, die Patenschafts-Aktion usw. informieren. Kurze Zeit später fuhr sogar eine Reihe von PKWs mit einem entsprechenden Heckscheiben-Aufkleber durch Deutschland. Über einen furiosen Schlussspurt zu Weihnachten wuchs der Konten-Stand bis zum Jahresende auf insgesamt rund 1.100.000 Mark an. Alle Mühsal und alle Anstrengungen hatten sich buchstäblich in barer Münze ausgezahlt. Etwas nahezu Unvorstellbares war geschehen! Die Patenschaften für sämtliche 1.908 Orgelpfeifen waren bereits am 31. Dezember 1999 vergeben. Damit hatten wir schon zwei Drittel des Weges zurückgelegt! Die Patenschaften waren nicht nur aus der ganzen Bundesrepublik und angrenzenden Ländern gekommen, sondern sogar aus den USA! Dort waren Nachkommen der Familie Silbermann durch ihre deutsche Verwandtschaft über unser Projekt unterrichtet worden.

Nach Vergabe der letzten Pfeifen-Patenschaft wurde die Aktion mit Patenschaften für Gehäuse und Technik fortgesetzt. Leider brachte uns das Jahr 2000 „nur“ 92.000 Mark an Spenden. Enttäuschend? Im Rückblick nicht so sehr. Ich betrachtete das geringere Ergebnis als eine gute Ausgangsposition für 2001. Denn im Spätsommer hatten Gaston Kern und sein Team in Hattmatt mit den Arbeiten an der Orgel begonnen. Ende 2000 nahm das Werk bereits Gestalt an, was für unsere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wichtig war. Im September 2001 war dann das Orgel-Gehäuse einschließlich der Prospektpfeifen komplett in der Werkstatt aufgebaut. In großen Lettern berichtete die Presse darüber. Der Patenschafts-Aktion gab das nochmals enormen Auftrieb. Als dann fristgerecht Anfang November das Orgelgehäuse mit der vollständigen Technik nach Villingen geliefert wurde, um sukzessive am „angestammten“ Platz auf der Empore der Benediktinerkirche aufgestellt zu werden, waren Fernsehen, Hörfunk, Presse und viele Freunde des Projekts dabei. Es war der richtige Zeitpunkt für einen Endspurt. Das Gesamtergebnis zum 31. Dezember 2001 konnte sich sehen lassen. Es belief sich nun auf 1.379.000 Mark. Damit war das ehrgeizige Ziel in unmittelbare Reichweite gerückt.

Ich hatte mir vorgestellt, dass dieses europaweit einmalige Projekt im Jahre 2002 eine Sonder-Briefmarke wert sein sollte. Die Orgel würde genau 250 Jahre nach Aufstellung des Originals im Jahre 1752 fertig werden. Schon Ende 1997 und danach jedes Jahr hatte ich an die dafür zuständige Abteilung des Bundesministerium der Finanzen in Bonn geschrieben. Eine Vielzahl gewichtiger Persönlichkeiten befürwortete das Anliegen. Und bis zuletzt hatte ich die berechtigte Hoffnung, dass wir eine Sondermarke erhalten würden. Dann, ganz zum Schluss des Auswahlverfahrens, kam die große Enttäuschung: Unser Antrag fand keine Berücksichtigung. Wahrscheinlich hatte man die Bedeutung dessen, was sich hinter dem vollständigen Nachbau der Villinger Johann-Andreas-Silbermann-Orgel verbarg, nicht richtig erkannt. Wir haben es auch so geschafft! Mit der letzten Patenschaft konnten wir Mitte Februar 2002 die Patenschafts-Aktion abschließen.

Der Dank
Nun ist das Werk vollendet! Das „Wunder“ ist geschehen, auch mit Gottes Hilfe. Die Zahl der Mitträumer hat alle Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen. Die Finanzierung ist gelungen über eine in Villingen noch nie da gewesene Gemeinschaftsaktion von Bürgern aus der Stadt, der Region, aus der ganzen Bundesrepublik und dem Ausland sowie – um es noch einmal ausdrücklich zu betonen - ohne jegliche öffentlichen Gelder.

Mir bleibt nun nur noch, allen herzlich zu danken, die zu diesem überwältigenden Erfolg beigetragen haben: dem Schirmherrn und den Kuratoren, der unüberschaubaren Zahl der Paten, Spender und Helfer – auch der vielen anonymen -, die sich in kaum vorstellbarer Weise mit dem einzigartigen Projekt identifiziert haben und sich zu Recht mit dem „wiedererstandenen“ Instrument persönlich verbunden fühlen dürfen. Die "Stiftung Johann-Andreas-Silbermann-Orgel von 1752 Rekonstruktion" soll künftig über das rekonstruierte Instrument "wachen" und für ihren dauerhaften Erhalt und Unterhalt Sorge tragen. Die dafür noch erforderlichen Zustiftungen und Spenden sind herzlich erbeten.

Lobpreiset den Herrn in seinem Heiligtum,
lobt Ihn in seiner starken Feste.
Lobt Ihn im Schalle der Posaunen,
lobt Ihn mit Harfe und Zither.
Lobt Ihn im Klang der Zimbeln,
Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!
                      Aus Psalm 150